Freiheit ist ein sehr komplexes Thema. Je näher man Freiheit betrachtet, desto mehr Formen tauchen auf. Da gibt es die positive Freiheit. Darunter versteht man, dass man Möglichkeiten hat, Freiheitsrechte auszuüben. Wer keinen Zugang zu Medien hat, der ist eben nicht ganz frei. Dann gibt es die negative Freiheit. Wer frei von inneren und äußeren Zwängen ist, der kann sich glücklich schätzen. Doch wer unter Ängsten leidet, der ist eben nicht frei. Natürlich kann man noch weitere Freiheitsformen finden. Zum Beispiel Vertragsfreiheit. Hier hat sich zumindest in den USA die Meinung durchgesetzt, diese Freiheit muss eingeschränkt werden. Denn ein Bäcker muss dort auch einem schwulen Hochzeitspaar eine Torte backen, selbst wenn dies seinen religiösen Vorstellungen widerspricht. Freiheit stößt auf Widerstand, besonders wenn andere Anerkennung einfordern. Doch das nur nebenbei.
Eine neue Freiheitsform scheint nun eine weitere Dimension zu erreichen. Ich spreche von der subjektiven Freiheit. Was ist darunter zu verstehen? Subjektive Freiheit meint, dass man sein kann, wer oder was man will, ohne dass man deshalb auf objektive Umstände hingewiesen werden dürfte. Jedermann kann so selbst darüber bestimmen, welches Geschlecht, welches Alter oder welche Hautfarbe er hat. Wer das nicht glaubt, der sei an Markus Ganserer erinnert. Er ist ein Mann, der von sich behauptet, eine Frau zu sein. Widerspruch kommt da nur noch von wenigen und wird mit Empörung belegt.
Leonardo da Vinci meinte einst: Wer nicht kann, was er will, muss das wollen, was er kann. Anders gesagt: Wer nicht fliegen kann, der ist so frei zu gehen. Er ist aber nicht so frei zu fliegen. Doch das war gestern. Der Freiheitsbegriff wird jetzt ins Subjekt gelegt, und zwar absolut. Das Problem dabei ist, dass man nun kaum noch zwischen Freiheit und Wahn unterscheiden kann.
Wie meinte der Psychologe Christian Scharfetter: „Wahn ist eine nur persönlich gültige, starre Überzeugung von der eigenen Lebenswirklichkeit, vor der Unterscheidung zwischen der „inneren“ Eigenwelt und „äußeren“ Umwelt. Wahn ist für den Kranken evidente Wirklichkeit. Der Wahn wird als gewiss, keines Beweises, keiner Begründung bedürftig erfahren. Wahn ist ein Wissen, kein vertrauendes oder im Zweifel dennoch wagendes Glauben. Die bisherige Erfahrung und zwingende Gegenargumente erschüttern die Wahngewissheit nicht. Zweifel wird nicht zugelassen. Eine Änderung des Standpunkts, eine Relativierung der Überzeugung ist nicht möglich.“ Und, so möchte ich ergänzen, der Wahn ist ansteckend, wenn die Wahnvorstellung von anderen zum Maßstab für die Wirklichkeit gemacht wird. Der “Wahnsinnige” bestimmt so für die Umwelt, was als wahr zu gelten hat.
Reaktionäre des 19. Jahrhunderts kritisierten, dass die Menschen durch die Revolution in die Freiheit entlassen würden und diese dem einzelnen ständig den Boden unter den Füßen wegziehe. Am Ende verliert das Individuum jeden Halt. Damit hatten sie nicht ganz unecht, weil Freiheit Maß braucht. Wird die Freiheit absolut in den Einzelnen gelegt, dann ist der Absturz die logische Folge. Inwieweit diese subjektive Freiheit nun die Freiheit anderer bedroht, objektive Gegebenheiten noch benennen zu dürfen, das wird die Freiheitsfrage der nächsten Jahre werden.
Christian Kümpel
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