Putin ist sicher gegen das Gendern. Muss man deshalb für Putin sein? Die AfD ist gegen Massenzuwanderung aus dem muslimischen Raum. Muss man die Partei dann nicht wählen, wenn man es auch so sieht? Bestimmte Liberale sind für absolute Freiheit. Aber ähnelt die nicht am Ende einem Wahn? Rassismus ist sicher nicht schön. Aber was geschieht, wenn man dieses Problem immer mehr moralisch auflädt und am Ende paranoia-artig in allen und jedem erkennt? Kann man den Woken folgen, auch wenn man am Ende sich selbst bezichtigen muss, um den „Erleuchteten“ zu gefallen in der Hoffnung, bei ihnen Beißhemmung hervorzurufen. Ist die Linke eine Option, obwohl ihr Paradies auf Erden wie die Hölle selbst erscheinen muss? Sollte man melancholisch einer Zeit nachtrauern, die es vermutlich so nicht gegeben hat? Die Konservativen, was haben sie anzubieten, außer der Mahnung, den Unsinn noch ein wenig bleiben zu lassen, bevor man ihn dann zähneknirschend doch akzeptiert. Wenn man einigermaßen über die Runden kommen will, dann muss man sich wohl darüber klar sein, nichts ist ganz richtig. Meist sind die Angebote sogar übel und falsch. Es gilt deshalb: Wer dem Teufel in einer Sache recht gibt, muss ihm deswegen ja noch nicht die Seele überschreiben.
Was bleibt, das ist Skepsis als Grundhaltung, Skepsis gegenüber all den Ideen und geistigen Angeboten. Sich nicht hinzugeben, sondern allem gegenüber reserviert zu sein, ist vermutlich die Haltung, die einen ermöglicht, sich nicht ins Absolute zu begeben, wo man als Mensch bald verloren ist. Doch ist Skepsis nicht eine Ausflucht? „Die Skepsis ist nicht die Apotheose der Ratlosigkeit, sondern nur der Abschied vom Prinzipiellen.“ Das meinte der Philosoph Odo Marquardt. Natürlich fehlt den Skeptikern diese Begeisterungsfähigkeit und der Überschwang. Es fehlt ihnen aber auch das Rechthaberische, das Verbohrte und das Gefährliche. Daher ist Skepsis wohl das beste Gegengift zu den Ideologien, die im Schwange sind. Vermutlich aber war und ist sie das zu jeder Zeit.
Christian Kümpel