Zurzeit spricht man nicht mehr von Held:innen, sondern von Helden. Männer, die in der Ukraine für die Freiheit kämpfen, werden nicht als toxisch oder sonst wie denunziert, sondern bewundert. Offen darf man darüber sprechen, dass Ukrainer eher zu Europa gehören als andere und deshalb gerne aufgenommen werden. Von LGBTQ in der Ukraine redet niemand. Das ganze Minderheitengedöns scheint jetzt niemand zu interessieren. Ist das die Wende?
Natürlich können Trends gebrochen werden. Der Zeitgeist ist eben ein Geist, der auch mal kurzzeitig verschwinden kann. Aber die unterliegenden Strömungen werden sicher nicht davon beeinflusst. Sobald der Krieg zu Ende ist, wird es mit Sicherheit an den Unis und in den Medien wieder losgehen. Die Bewusstseinsindustrie und ihre Ableger, die Werbebranche, werden genau dort weitermachen, wo sie aufgehört haben.
Was sind diese unterliegenden Strömungen? Es ist der Selbsthass des liberalen Westens. Sobald der Westen sich etabliert hat, traten seine Kritiker auf den Plan. Sie sind nämlich ein Teil des Westens selbst. Der Selbsthass ist sozusagen der Schatten dieser Zivilisation. Doch wie ist er zu erklären?
Odo Marquardt, der Philosoph der Skepsis, hat da eine interessante Idee anzubieten. Da es keinen Gott – diesen hat der Westen sozusagen gekillt – mehr gebe, den man anklagen könne, wird der Mensch als Schöpfer der Geschichte betrachtet, der für alle Übel verantwortlich sei. Dabei entsteht eine neue Herrschaftsform. Die säkuläre Priesterschaft schwingt sich zum Ankläger auf und bietet sich als Weltgewissen an. Ihre Kernbotschaft: Der Westen ist für alles Schlechte verantwortlich, den der Westen behauptet ja auch, man könne nun sein Schicksal selbst bestimmen.
Die Ironie dabei: Man entlastet die afrikanischen und arabischen Despoten, die Islamisten und in der Vergangenheit auch Putin. Doch zurzeit ist man auf Seiten der Priesterschaft etwas verwirrt, weil der Westen zumindest nicht mittelbar Schuld an dem Krieg in der Ukraine ist. Doch ich möchte fast wetten: Wenn der Krieg vorbei ist, dann wird die „Priesterkaste“ wieder ihr Haupt erheben. Denn dem Westen ist es eben immanent, sich selbst zu hassen, solange er keinen äußeren Feind hat. Es ist sozusagen, sein eingeschriebener Wahn, dass alles möglich ist und seine Verzweiflung darüber, dass dies nicht stimmt, treibt ihn in den Selbsthass, der heutzutage eben die Form der Identitätspolitik annimmt. Der Selbsthass ist im Grunde Ausfluss seiner mangelnden Selbstbeschränkung und nicht vorhandener Demut. Das wird bleiben. Denn das ist urwestlich. Und darum geht es in der einen oder anderen Form nach dem Krieg wieder weiter wie zuvor. Denn die Frage, wie es sein kann, dass es ein Übel gibt, wenn wir doch allmächtig sind, ist das westliche Theodizee-Problem, das auf Dauer in der westlichen DNA angelegt ist.
Christian Kümpel
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