Eine Nation, was ist das anderes als eine Geschichte, die von allen Bürgern geglaubt wird. Die Geschichte hat unterschiedliche Elemente. Wir gehören zusammen, das ist allerdings immer ein Teil davon. Doch warum gehören wir zusammen? Weil wir eine gemeinsame Kultur haben? Weil wir eine gemeinsame Sprache haben? Weil wir eine gemeinsame Vergangenheit haben? Vielleicht. Aber auch der Kampf, den man gemeinsam besteht, definiert eine Nation.
Die Ukraine kämpft um ihr Überleben, und zwar gegen einen vielfach überlegenen und zudem äußerst rücksichtslosen Feind. Diejenigen, die gestern noch nicht wussten, ob sie wirklich Ukrainer sind, weil sie sich historisch, sprachlich und kulturell zu Russland hingezogen fühlten, sie wurden unter russischem Beschuss Ukrainer.
Auch wenn die Ukraine diesen Kampf verlieren sollte, was sehr wahrscheinlich ist, wird Putins Russland nicht verhindern, dass die Ukrainer sich nun als Nation gefunden haben. Sie wurden eine Nation sozusagen in dem Moment der möglichen Auslöschung. Russland wird diese Geschichte dagegen weiterhin als antifaschistische Kampf verkaufen. Das passt zu dem Narrativ, welches man sich in Russland seit 1941 erzählt. Seit 1941 befindet sich Russland im Kampf mit Hitler, der nur die Namen wechselte. Heute ist ihr Hitler die Nato, Amerika oder die EU. Das wird den Leuten in Russland erzählt, die es glauben, was sie wiederum zu einer Nation macht. Nebenbeibemerkt: So gehört man zu den Guten, ohne es jemals wirklich gewesen zu sein.
Jeder von uns lebt in imaginierten Gruppen, auch die sogenannten Weltbürger. Anders können größere Gruppen keinen Zusammenhalt finden. Die Faktoren und Geschichten, die uns zu einer Gruppe zusammenschweißen, sind vielfältig. Die Erzählungen und Ereignisse in Deutschland sind andere als die jetzigen in der Ukraine. Doch ich denke, dass der heldenhafte Kampf der Ukrainer sie schon jetzt nicht nur in einer geeinten Nation zusammenführt. Sie werden im Vergleich zur postheroischen Nation der hyperempfindlichen Diversität der Bundesrepublik auch deshalb in gewisser Hinsicht überdauern, weil jeder Ukrainer das ultimative Opfer zu bringen bereit ist für seine Nation. Auch das trennt uns von dieser der Ukraine. Denn nur in einer wahrhaft heldenhaften Nation ist man bereit, für die Nation zu sterben.
Christian Kümpel
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