Moral war früher ein Luxusgut. Ärmere Leute haben nämlich meist andere Sorgen als Pseudo-Diskriminierung oder ethische Fragen zu veganem Essen. Sie wollen besser leben. Doch seit einiger Zeit geht es allen besser. Da kann man sich auch Moralismus leisten.
Allerdings scheint die Aufwärtsbewegung nun abzubrechen. Denn eine Krise jagt die nächste. Dass es nochmal besser wird, glauben die wenigsten. Die wirtschaftliche Entwicklung scheint nur eine Richtung zu kennen. Was bedeutet das für die Identitätskrieger und ihre hypermoralische Agenda?
In der FAZ stellen Benjamin Enke und Matthias Polborn die Frage, warum sich westliche Länder immer mehr polarisieren. Ihre Antwort: Reiche wählten früher konservativ. Weniger Reiche wählten links. Nun wählen Reiche links, weil sie sich moralisches Wahlverhalten leisten können. Und die linken Parteien mit ihren neuen Themen haben ihnen da einiges zu bieten.
Doch die eher ärmeren Schichten, die von der linken Agenda eher abgestoßen werden, weil sie gesellschaftspolitisch konservativ sind, wählen dafür jetzt rechts, obwohl das gegen ihre wirtschaftlichen Interessen sein könnte. Das gefällt nicht allen Linken, zum Beispiel Frau Wagenknecht. Sie möchte sie zurückholen, durch eine konservative Agenda, die aber das soziale betont.
Doch was passiert, wenn es nun nur noch ums liebe Geld geht, und zwar nicht nur bei den Armen, sondern auch bei den eher reichen Bürgern, wenn sich der Wind eben heftig dreht? Dann müsste eigentlich auch Moral wieder das werden, was es immer schon war: ein entbehrliches Luxusgut.
Dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass die die gute alte Unterscheidung reich/arm die Unterscheidung moralisch/amoralisch wieder ablöst. So wie es ja früher immer war. Für Wagenknecht als Linke wäre die Krise so gesehen eine Chance. Denn ihre Klientel könnte sich von linken Parteien, die sich nur der sozialen Frage widmen, und zwar ohne Gedöns, wieder angesprochen fühlen. Und die ärmeren Reichen werden dann vielleicht ganz neue Werte entdecken, nämlich den Wert, die Kohle zusammenzuhalten. Lassen wir uns überraschen.
Christian Kümpel
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