Stefan Hirschauer (Soziologe) durfte jüngst in der FAZ seine Thesen über eine komplette Seite ausbreiten. Man kann sie, ohne Hirschauer zu nahe zu treten, auf einen Satz reduzieren: So wie die Hautfarbe keine Rolle mehr spielt – stimmt das denn? – , so ist auch das Geschlecht irrelevant geworden. Überhaupt nähmen wir den anderen meist ja nicht als Mann oder Frau wahr. Also lassen wir es einfach ganz, Menschen in eine geschlechtliche Schublade zu stecken. Und dann natürlich noch das Argument des Konstruktivismus. Wenn Mann oder Frau nur ein Konstrukt sind, ist es natürlich auch Transgender. Alles deshalb irgendwie nur ausgedacht. Es gibt uns alle eben nur als Idee.
Sehr vielsagend ist auch, dass Hirschauer meint, dass man auf Distinktionsgewinne durch Transgender verzichten könnte, wenn man aufhört, sich über das Geschlecht zu definieren. Da ist vermutlich was dran. Denn die meisten transgendern vermutlich, damit sie sich ein Profil zulegen, das irgendwie dem Individualisierungszwang entspricht. Am Ende soll man nach Hirschauer dennoch so weise sein, Männer mit Brüsten (vermutlich sind keine Männerbusen gemeint, die vom Bier trinken stammen), die noch Wert auf Geschlechtlichkeit legen, in ihrer Vorstellung anerkennen. Soll heißen, es gibt sie alle nicht wirklich, aber wir sind so herablassend oder verständnisvoll – je nach Lesart – und tun mal so, als ob ihre Konstruktion gültig wäre.
Allerdings scheint es so, als ob gerade Frauen sich nicht so gerne auf die Idee der Irrelevanz des Geschlechts einlassen wollen. Immerhin hätten sie eine Menge zu verlieren. Nachdem seit circa 150 Jahren Frauen nun politisch, sozial und ökonomisch mehr Bedeutung erlangt haben, werden sie vermutlich zäh daran festhalten, dass es doch Männer und Frauen gibt. Männer dagegen könnten mit der Idee wieder die Oberhand gewinnen. Denn wenn es keine Frauen mehr gibt, dann gibt es auch keine Geschlechterpolitik mehr im Sport, in der Politik und in der Wissenschaft. Quoten hätten sich erledigt. Schutzräume für Frauen auch. Es würde mich nicht überraschen, wenn sich deshalb bald immer mehr Männer sich dieser Idee anschließen, um ihre Macht zurückzuerobern. Denn wenn es nur noch Menschen gibt, dann brauchen wir keine Rücksichten mehr zu nehmen. An der Stelle sei daran erinnert, dass das Wort Mensch von Mann kommt. Darf man deshalb fragen, ob da jemand aus durchsichtigem Interesse rationalisiert und das Wissenschaft nennt?
Doch am Ende der wirklich wichtige Punkt: Besteht überhaupt Aussicht auf den Untergang der Geschlechter? Wird es in absehrbarer Zeit nur noch das Mensch geben, wie es ja auch nur den Einzeller gibt. In überspannten Endzeitkulturen wie der Deutschen wäre es durchaus möglich. Gesellschaften die jedoch auf Reproduktion Wert legen, werden vermutlich andere soziale Konstruktionen bevorzugen. Vermutlich solche, die ihrer Kultur das Überleben sichern. Dazu gehört die Zweigeschlechtlichkeit. Denn Sex und Gender haben, auch wenn manche es nicht glauben wollen, etwas miteinander zu tun. Darum wird es am Ende eher gehen als um hypertrophe Individualisierung oder akademische Versuche, die Geschlechter abzuschaffen. Aber netter Versuch, Herr Hirschauer.
Christian Kümpel
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