Verbitterungssyndrom

Menschen reagieren unterschiedlich auf einschneidende Veränderungen, die als negativ empfunden werden. Die einen ignorieren sie, andere passen sich an. Manche verbittern. Verbitterung ist eine Mischung aus Frustration und Zorn. Dieses Gefühl kann zum Beispiel eintreten, wenn man als fleißiger Mitarbeiter nicht gewürdigt wird. Oder wenn man von seinem Lebensgefährten immer nur hört, wie unfähig man sei.

Ich vermute aber, dass man besonders verbittert, wenn man zusehen muss, wie die eigene Welt verschwindet, ohne dass man ohne etwas tun kann. Und das Gefühl setzt auch ein, wenn man ständig zu hören kriegt, das eigene Land sei homophob, rassistisch und frauenfeindlich. Also irgendwie schlimmer als Afghanistan, Nordkorea und das Dritte Reich zusammen. Man kriegt dann geradezu einen Ekel vor dem eigenen Land, wenn man so etwas ständig hört. Wie einen ja auch Menschen anwidern, die sich ständig selber schlecht machen.

Doch bleiben wir bei der Verbitterung. Dazu gehört, wie gesagt, unbedingt das permanente Gefühl von Ohnmacht. Die eigene Machtlosigkeit wird einem ständig vor Augen geführt und noch greifbarer, wenn man erfährt, dass die wichtigen Entscheidungen nicht im Parlament, sondern irgendwo in der EU, bei der EZB oder bei NGOs, also bei nebulösen Mächten liegt, von denen man nicht das Gefühl hat, man habe auch nur den geringsten Einfluss aus sie. „Mich hat niemand gefragt, als 2015 Millionen ins Land gelassen wurden.“ Das ist so ein Satz. Und man sollte sich da auch keine Illusionen machen: Auch in Zukunft wird man kaum gefragt werden, wenn es um wichtige Dinge geht. Und selbst wenn, interessiert die Antwort nicht.

Was macht nun der ob all dieser Phänomene verbitterte? Er bestraft seine Umwelt, indem er seine Verbitterung oder Wut zur Schau stellt. Er nervt irgendwann selber, weil er selbst genervt wird. Seine Gedanken kreisen nur noch um die eigene Hilflosigkeit und die Frustration. Und er macht das zum Dauerthema. Schließlich sucht er schon fast krampfhaft nach Anlässen, seiner Verbitterung weiteres Futter zu geben. Es ist, als ob die Verbitterung immer neue Nahrung bräuchte. Unglück wird so zur Dauerschleife.

Doch was kann man wirklich tun, wenn man nichts tun kann? Die Antwort könnte lauten: Wer wenig Gepäck mit sich herumschleppt, der verbittert nicht so schnell. Wem das Land, die Gesellschaft und auch die EU egal sind, der muss sich nicht aufregen, wenn Mächte jenseits seiner Einwirkungsmöglichkeiten wüten. Sie sind wie die Sonne und der Regen, die man ja auch nicht stoppen kann. Was macht es dann schon, wenn nun Jugendlichen ihre vermeintliche Transsexualität entdecken und manche behaupten, nur eine gendergerechte Sprache könne die Welt retten? Was geht mich der Irrsinn der Welt an, könnte man fragen. Die Welt ist schon öfter mit bizarren Figuren aufgetreten. Das gehört einfach dazu. Wichtig ist nur, dass man sich das nicht zu Herzen nimmt. Man wird so Beobachter und gewinnt Abstand. Von der eigenen Verbitterung haben nur diejenigen etwas, die uns verbittern lassen wollen. Und das sind sicher nicht wenige. Wem es gelingt, hier die Balance wiederzufinden, der hat den Narren schon ein Schnippchen geschlagen. Das ist in diesen Zeiten keine kleine Leistung.

Christian Kümpel