Es ist schon kurios, wie aggressiv man hierzulande miteinander umgeht. So steht in der letzten EMMA: „Jan Böhmermann diffamiert Menschen, die das geplante „Selbstbestimmungsgesetz“ kritisieren, als Nazis und „Scheißhaufen“. Staatssekretär Lehmann applaudiert.“ Gefordert wird nun der Rücktritt von Lehmann. Der ist immerhin Staatssekretär, allerdings für Queere-Fragen. Dennoch die Frage: Klatscht man bei solchen Äußerungen Beifall? Vor allem als hochrangiger Politiker?
Nun ist mir aber auch erinnerlich, wie die EMMA-Herausgeberin, Alice Schwarzer, vor Jahren die Ärztin Esther Villar im Fernsehen fertiggemacht hat. Dabei wurde sie von Schwarzer als Nazi bezeichnet, obwohl Villar jüdischer Abstammung ist. Dies wegen ihrer These, dass Frauen Männer manipulierten und unterdrückten. Das passte nicht in Schwarzers Weltbild: Bei Schwarzer ist es grundsätzlich immer umgekehrt: Männer unterdrücken Frauen. Davor wurde Villar übrigens von feministischen Aktivisten verprügelt, weshalb sie das Land verlassen hatte. Man sieht also: Hierzulande fehlt es nicht an Konzepten, sondern an Umgangsformen, und zwar schon länger.
Woran liegt es? An den steilen Thesen, die einen aggressiv machen? Nun, man darf ja gerne glauben, dass Männer das Grundübel seien oder dass Frauen Männer manipulieren oder dass es 67 Geschlechter gäbe. Das wäre aber kein Grund auszuflippen. Es liegt vermutlich eher an einer Kultur, die mit Martin Luther sagt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Diese Kultur hat sich verbunden mit dem Wahn, die Wahrheit gepachtet zu haben. Dass der Wahn die Person gepachtet hat, wird meist nicht geglaubt. Dabei spricht oft alles dafür, dass genau das der Fall ist. Schließlich gibt es natürlich noch die Lust an dem Schmerz des anderen, wenn der Gegner getroffen worden ist. Kindisch, aber so etwas mögen viele Menschen nun mal.
Statt also die Frage zu beantworten, ob Frauen nun unterdrückt werden oder ob es 67 Geschlechter gibt – Fragen, über die die Zeit irgendwann hinweggehen wird – wäre es vermutlich besser, an den Umgangsformen zu arbeiten. Sie wissen schon: Ich-Botschaften statt Du-Botschaften. Siezen statt Duzen. Nachsicht mit den Verrückten. Gepflegte Ironie und vor allem immer eine innere und äußere Distanz. Am besten auch zu sich selbst. Wenn man dann noch aufhörte, eine Kultur zu pflegen, die den anderen für vogelfrei erklärt, weil er ein Nazi, ein Liberaler oder von mir aus auch ein durchgeknallter Linker wäre, um dann sein Mütchen an ihm zu kühlen, wäre viel gewonnen.
Anders gesagt: Wir bräuchten wieder mehr Form. Inhalte gibt es schon genug.
Christian Kümpel
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