Critical Race Theory (1) – Einführung und Geschichte


Für die sog. “Critical Race Theory” gibt es noch keine allgemeingültige deutsche Übersetzung. In progressiven Kreisen wird nämlich argumentiert, dass der Begriff der “Rasse” im deutschen Sprachgebrauch im Gegensatz zum Gebrauch des englischen Begriffes “race” eine zu stark biologistische Kernbedeutung habe. Jedoch basieren nach dem Interesse für die “Black Lives Matter”-Bewegung auch in Deutschland zunehmend die identitätspolitischen Diskurse auf diese Theorie. Daher will ich sie in einigen Blogartikeln zunächst in ihren Grundzügen darstellen, um in weiteren Teilen die Kritik an diesem Konzept zusammenzufassen.

Es gibt einen 2. Teil zu diesem Artikel: Critical Race Theory (2) – Themen: https://www.denkvorbote.de/2021/06/05/critical-race-theory-2-themen/

I. Einführung
Die Critical Race Theory (CRT) ist eine von us-amerikanischen Bürgerrechts-Gelehrten und Aktivisten gegründete akademische Bewegung. CRT untersucht soziale und kulturelle Fragestellungen in Bezug auf Rasse, Recht sowie soziale und politische Macht. Zentral sind Standpunkte gegen die bestehende Rechtsordnung aus rassenbezogener Sicht und insbesondere die Kritik der gängigen liberalen Ansätze zur Gerechtigkeit. Recht und die Rechtsinstitutionen seien von Natur aus rassistisch. Das Konzept der Rasse sei selbst nicht biologisch begründet und natürlich, sondern sei ein sozial konstruiertes Konzept, das von Weißen verwendet wird, um ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen auf Kosten von People of Colour zu fördern. Die Ideen entstanden Mitte der 1970er Jahre in den Schriften mehrerer amerikanischer Rechtswissenschaftler, darunter Derrick Bell, Alan Freeman, Kimberlé Crenshaw, Richard Delgado und Patricia J. Williams. CRT entstand in den 1980er Jahren als Bewegung, die die Theorien Critical Legal Studies (CLS) mit Fokus auf Rasse überarbeitete. Wie das Wort “kritisch” andeutet, wurzeln beide theoretischen Rahmenbedingungen in der Kritischen Theorie, einer ideologiekritischen Analyse der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die auf die Frankfurter Schule (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Walter Benjamin) zurückgeht. CRT wird durch zwei gemeinsame Thesen lose verbunden: Erstens existiere eine weiße Vormachtstellung, die ihre Macht durch das Gesetz aufrecht erhält. Zweitens sei es möglich, das Verhältnis zwischen Recht und weißer Vormachtstellung zu verändern sowie Rassenemanzipation und Nicht-Unterordnung im weiteren Sinne zu erreichen. Kritiker der CRT sagen, dass sie sich auf den sozialen Konstruktivismus stützt, das Storytelling über Beweise und Vernunft erhebt, die Konzepte von Wahrheit und Leistung ablehnt und gegen den Liberalismus opponiert. Mitbegründer Richard Delgado definiert CRT im Jahr 2017 als “eine Sammlung von Aktivisten und Gelehrten, die daran interessiert sind, die Beziehung zwischen Rasse, Rassismus und Macht zu untersuchen und zu verändern. 

II. Geschichte
a. Frühe Ursprünge
: Bereits in den 1970er Jahren versuchten kritische Juristen, Aktivisten und Anwälte zu verstehen, warum Siege in der Bürgerrechts-Ära ins Stocken geraten waren. In den frühen 1980er Jahren organisierten farbige Studenten an der Harvard Law School Proteste gegen den Mangel an rassischer Vielfalt im Lehrplan, unter den Studenten und in der Fakultät. Diese Studenten unterstützten Professor Derrick Bell, der während seiner Zeit in Harvard neue Kurse entwickelt hatte, die das amerikanische Recht auf Rassismus untersuchten. Die Studenten wollten nach dem Weggang Bells von Harvard diese Kurse in Eigenregie und unter schwarzer Leitung unterrichten, was jedoch von der Universitätsleitung unterbunden wurde. Als Reaktion darauf boykottierten Kimberlé Crenshaw und andere Studenten den offiziellen Kurs und organisierten mit Gastrednern wie Richard Delgado einen “Alternativkurs” unter Verwendung von Bell’s 1973 verfasstem Werk “Race, Racism and American Law” (1973, 1. Auflage) als Kerntext.

b. Erste Treffen: Das erste formelle Treffen zum Thema CRT wurde 1989 von Kimberlé Crenshaw der Workshop “Neue Entwicklungen in der kritischen Rassentheorie ” organisiert, bei dem versucht wurde, die theoretischen Grundlagen Kritischer Rechts-Studien (CLS) mit den alltäglichen Realitäten der amerikanischen Rassenpolitik zu verbinden. Obwohl CLS die Rolle des Rechtssystems bei der Schaffung und Legitimation drückender sozialer Strukturen kritisierte, bot es keine Alternativen. CRT-Wissenschaftler wie Derrick Bell und Alan Freeman argumentieren, dass das Versäumnis, Rasse und Rassismus in ihre Analyse einzubeziehen, CLS daran gehindert hat, eine neue Richtung für die soziale Transformation zu entwickeln. Der CRT-Workshop 1989 an der Universität von Wisconsin-Madison, an dem 24 farbige Wissenschaftler teilnahmen, markierte einen Wendepunkt für das Gebiet. Nach diesem Treffen begannen die Wissenschaftler, ein höheres Volumen an Werken mit CRT zu veröffentlichen, darunter einige, die beim allgemeinen Publikum populär wurden. 1991 veröffentlichte Patricia Williams “The Alchemy of Race and Rights”, während Derrick Bell 1992 “Faces at the Bottom of the Well“ veröffentlichte, die beide nationale Bestseller wurden.

c. Ausbreitung: 1995 bewegte sich CRT über die Grenzen der Rechtswissenschaft hinaus und wurde erstmals im Bildungsbereich angewendet, um Ungleichheiten im Zusammenhang mit der Schulbildung besser zu verstehen. Seitdem haben Wissenschaftler ihre Arbeit in diesem Zusammenhang erweitert, um Themen wie Segregation, Beziehungen zwischen Rasse, Geschlecht und akademischen Leistungen, Pädagogik und Forschungsmethoden zu untersuchen. Ab 2002 boten über 20 juristische Fakultäten in den USA und mindestens 3 außerhalb der USA Kurse zur kritischen Rassentheorie an. Neben den Rechtswissenschaften wird CRT mittlerweile in den Bereichen Bildung, Politikwissenschaft, Frauenforschung, Ethnologie, Kommunikation, Soziologie und Amerikanistik gelehrt und angewendet.

Es gibt einen 2. Teil zu diesem Artikel: Critical Race Theory (2) – Themen: https://www.denkvorbote.de/2021/06/05/critical-race-theory-2-themen/

Quellen:
Pluckrose, H. & Lindsay, J. (2020). Cynical Theories: How Universities Made Everything about Race, Gender and Identity – And Why this Harms Everybody. Faber And Faber Ltd.

Delgado, R. &  Stefancic, J. & Harris, A. (2017) Critical Race Theory (Third Edition): An Introduction. NYU Press.

Wikipedia contributors. (2021, April 30). Critical race theory. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Retrieved 15:55, May 1, 2021, from https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Critical_race_theory&oldid=1020611706