Was macht man, wenn einem die Meinung eines anderen nicht gefällt? Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Widersprechen. Besser ist, die Person mundtot zu machen, denken viele. Das kommt deshalb heutzutage immer häufiger vor, obwohl man ständig das Wort Toleranz hört. Die gilt auch, aber immer nur, wenn es um die eigene Meinung geht. Und Toleranz hat natürlich Grenzen, die nicht der Staat, sondern jetzt Gruppen festlegen, sogenannte zivilgesellschaftliche Agenten, Beauftragte, Vigilanten. Die ändern die Parameter schnell und gründlich. Was machen die also, wenn hier jemand mit irgendwelchen eigenwilligen Ansichten kommt, weil er gerade mal nicht aufgepasst hat?
Wenn jemand etwas anderes von sich gibt, als diesen Gruppen genehm ist, stehen Zauberworte, magische Wendungen und anderes zur Verfügung, um ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Man sage zum Beispiel menschenverachtend, homophob oder rechts. Simsalabim, sofort verstimmen die anderen wie von Zauberhand. Das funktioniert meistens sehr gut. Und da muss auch nichts erklärt werden. Da muss nicht argumentiert werden. Da muss vor allem keine Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.
Zum Beispiel forderte die JU Rheinland-Pfalz lieber saubere Toiletten als Toiletten für ein Drittes Geschlecht – was immer das sein soll. Sven Lehmann (he/er), Queer-Beauftragter der Bundesregierung, nannte das menschenverachtend. Es wäre eine Entschuldigung fällig. Darauf verfällt der Meinungsgeber meist in Schweigen. Manche finden da nie wieder ihre Zunge zurück. Der Zauber wirkt.
Menschenverachtend heißt ja eigentlich, dass man durch Taten oder Worte die Würde des Menschen grob verletzt. Zynische Bemerkungen sind also gemeint. Doch was ist nun zynisch daran, zu meinen, sauberer Toiletten sind wichtiger als eine dritte Toilette für sogenannte queere Personen, die vermutlich auch bald schmutzig ist, wenn man schon zwei Toilettenarten nicht sauber kriegt? Soll damit gesagt werden, dass sogenannte queere Menschen nicht auf die Toilette gehen dürfen? Natürlich dürfen sie das weiterhin. Und wäre es denn menschenverachtend, wenn man nur eine Toilette für alle fordert? Immerhin könnte das gegen Frauen gerichtet sein. Oder gegen Männer. Egal. Wichtig ist, dass Lehmann hier eine andere Meinung hat und die andere nicht mehr hören möchte. Und da spricht man eben das Wort.
Was jedoch überrascht ist, dass das überhaupt funktioniert, obwohl wir uns doch als aufgeklärt bezeichnen. Da müsste man doch die Mechanismen des Zaubers durchschauen. Ja, es sind heute andere magische Worte sind als früher. In der Sowjetunion waren diese: Klassenfeind, Faschist oder Diversant. Bei den Nazis waren es: verjudet, Bolschewist oder Volksfeind. Bei den Christen gab es auch solche Worte. Hexe, Teufel oder – wenn man protestantisch war – papistisch. Selbst die Amis kannten Bezeichnungen, die jeden erstarren ließen. McCarthy machte es möglich. Heutzutage ist es eben das Wort menschenfeindlich. Doch was ist denn nun mit dem Aufgeklärtsein oder dem Abgeklärtsein? Ach, wir sind wohl immer noch der alte Adam. Oder anders gesagt: Wir sind offensichtlich so aufgeklärt wie vor 80 Jahren oder 800 Jahren. Wenn das richtige Wort fällt, dann erstarren wir heute so wie früher.
Christian Kümpel
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