Wir Weißen sind schuldig. So meinte jüngst ein Freund zu mir. Ich fand diese Äußerung merkwürdig. Ich habe eigentlich nichts verbrochen, wenn es nach dem Gesetz geht. Aber er meint vermutlich diese existenzielle Schuld, eine Form der Schuld, die man sich schon allein dadurch einfängt, dass man geboren wurde. Mir stellt sich allerdings die Frage: Ginge es anderen besser, wenn es mir schlechter ginge? Vermutlich nicht. Und dann wäre es auch interessant zu wissen, warum man sich nicht freuen darf, dass es einem besser geht als anderen? Soll man sich deswegen grämen? Sicher, es wäre schön, wenn die Welt perfekt wäre. Aber das es nicht so ist, macht mich nicht sonderlich betroffen. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein böser Mensch bin oder einfach immun.
Der Begriff Immunität beschäftigt mich übrigens schon länger. Genau wie der Begriff soziale Krankheit. Und ist das Schuldgefühl nicht wie eine Krankheit, die den Menschen befällt? Das würde auch erklären, warum diejenigen die von dieser großen Schuld reden, dieses Schuldgefühl ständig verbreiten wollen. Sie sind sozusagen die Schuld-Superspreader.
Wenn aber das Schuldgefühl eine Krankheit ist, dann ist der Krankheitserreger vermutlich schon lange in unserem System. Er muss nur aktiviert werden. Wie ist das zu verstehen? Ich stelle mir das so vor: Die Christen haben jahrhundertelang Schuld kultiviert. Doch der Glaube ging verloren. Obwohl diese Christen ohne Gott keine Schuld mehr fühlen sollten, so bleibt dieses überindividuelle Schuldgefühl, das nun eine andere Begründung braucht. Und da kommt einiges in Frage. Wenn es nicht der Kolonialismus ist, dann die Geschlechterungerechtigkeit oder vielleicht die ungleiche Verteilung von Schönheit.
Die Identitätspolitik ist so gesehen ein Dienstleister für eine postchristliche Gesellschaft, die vergessen hat, woher ihre Schuldgefühle ursprünglich kommen. Sie macht diese wieder anschlussfähig und erklärlich. Man könnte auch sagen: Die Identitätspolitik ist der Parasit einer Schuldkultur, indem sie die Schuldkultur nutzt, um sich einzunisten. Doch Parasiten geht es manchmal so: Sie töten den Wirt und müssen dann selber sterben. Daher sollte man es besser nicht übertreiben.
Kü
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